Commodore und Ich
Waren wir Kassettenkinder (wie es im Buch «Wir Kassettenkinder» von Stefan Bonner und Anne Weiss so schön beschrieben wird) oder die Generation 64 (nach der gleichnamigen Publikation von Kenneth Grönwall und Jimmy Wilhelmsson)? Zumindest spielten Kassetten in jener Zeit zwischen «Kalter Krieg» und Sorglosigkeit eine immens wichtige Rolle. So sassen wir stundenlang vor dem Radio, lauschten gespannt den Ansagen des Radio-DJs François Mürner, damit wir ja den richtigen Moment erwischten, um den neusten Hit von Depeche Mode oder Bronski Beat auf Kassette zu bannen. Oder wir legten einen neuen Film in unsere Agfamatic 901 ein, der praktischerweise in einer Kassette verpackt war, damit dieser nicht unbeabsichtigt belichtet werden konnte. Und wir kopierten stundenlang die neusten Videospiele mittels Datasetten hin und her, damit auch alle eine Kopie der aktuellen Spiele ihr eigen nennen konnten. Wir waren im Sommer 1985 wahrlich die Kassettenkinder der Generation 64.
Der Commodore 64 war nicht die erste Hardware, die Videospiele in die Wohn- und Kinderzimmer des beschaulichen Bauerndorfes im Oberaargau brachte. Es gab schon früh ein Bekannter, der das Grundig Super Play 4000 besass. Und der Brünu bekam 1982 von seinen Eltern ein Intellivision von Mattel geschenkt. Der Hugli hatte zwei Jahre später bereits einen Commodore VC-20, auf dem man selber programmieren konnte. Doch erst im Frühjahr 1985 bildete sich rund um den Commodore 64 eine aktive Gemeinschaft, die Videospiele tauschte und später auch selber programmierte. Unbewusst öffnete der C64 auch das Tor zur elektronischen Musik, da die Klangfähigkeiten des SID-Chips die Programmierung von Chip-Tunes ermöglichte, deren Sound der damals weit verbreiteten Bontempi-Orgeln um Welten voraus war. Beeindruckend waren auch die Cracktros, kleine Intros, welche von den Cracker-Crews vor den Spielen platziert wurden, um auf sich aufmerksam zu machen. Es versteht sich von selbst, dass auch die Jungs aus dem Oberaargauer Bauerndorf unbedingt zu diesen coolen Cracker gehören wollten. So nannten sich Brünu und ich schon früh «The Panic Boys», änderten bestehende Intros ab, setzten unsere Namen rein (was für ein Frevel), oder erstellten sogar selbst kleine Intros in Basic. Doch das grosse Ziel war, selber Videospiele zu programmieren um in kurzer Zeit so reich zu werden, wie die jungen Genies in den USA und England, die aus ihren Jugendzimmern erfolgreiche Softwareschmieden machten.
Während einer zweitägigen Wanderung im Sommer 1986 stiessen wir in einem kleinen Bergrestaurant auf den SEGA-Spielautomaten «Bank Panic». Nach ausgiebigem Testen und Spielen entstand die Idee, das Spiel auf dem Commodore 64 neu zu programmieren. Da in der damals sehr bekannten Computerzeitschrift «Happy Computer» ein Aufruf publiziert wurde, dass die Gebrüder Darling von Code Masters neue Spiele und Programmierer suchten, sandten wir «Panic Boys» das selber programmierte Spiel «Tressor Panic» (man beachte den peinlichen Rechtschreibefehler) kurzerhand nach Southham in England. Wenig später erhielten wir tatsächlich ein Brief von Code Masters mit der Aufforderung, mit den Darlings telefonisch Kontakt aufzunehmen. Als die Jungs von Code Master aber erfuhren, dass Brünu und ich noch minderjährig waren, wurde der Kontakt umgehend wieder eingestellt. Aber dank «Tressor Panic» war das Software-Label «Omega» geboren und wir programmierten munter an diversen Projekten und Spielen weiter. Dank der «Happy Computer» und dem AE64 lernte ich sogar das Programmieren in Assembler, was in einigen Projekten zur Anwendung kam. Doch in jener Zeit waren wir sehr flatterhaft: Vieles wurde begonnen, aber selten etwas fertig gestellt.
Im Sommer 1987 folgte «Defence», das ich und Brünu programmierten und gegen Ende des Jahres dem Verlag Markt&Technik zur Veröffentlichung angeboten hatten. Das Spiel umfasste eine Matrix von 6x4-Feldern, in dem verschiedene Levels generiert wurden. Im Spiel huschte ein Raumschiff über die Feldmatrix und sammelte weisse Felder ein. Dabei wurde es von zwei bis drei gegnerischen Raumschiffen gejagt. Das Spiel war hauptsächlich in BASIC geschrieben, einzig die Joystickabfrage und die Bewegung der Gegner bestand aus einer Interrupt-basierten Assembler-Routine. Das Spiel war aber viel zu schwierig und die Spriteroutinen waren unausgereift. Zudem war die Joystickabfrage durch die Mischung aus Basic und Assembler viel zu träge. Folglich wurde die Verwertung des Spiels durch Markt&Technik auch abgelehnt - zurecht.
Im Oktober 1987 wurde mein Commodore 64 durch den Amiga 500 abgelöst und wir versuchten uns in der Programmierung mittels Amiga Basic von Microsoft. Das Amiga-Basic war wesentlich komplexer als das simple Basic des C64, aber schlussendlich eine riesige Enttäuschung. Es war sehr langsam und die Fähigkeiten des Soundchips liessen sich kaum nutzen. Nach einigen Experimenten und der Programmierung eines Quiz-Spiels entschieden wir uns, dem Label «Omega» den Rücken zu kehren und nannten uns fortan «First Cream Production». So entwarf ich im Frühjahr 1988 unter dem neuen Label zusammen mit Brünu das belanglose Strategiespiel «The King Of Napoli», das einige mit «Deluxe Paint» erstellte Bilder enthielt. Das Spiel simulierte auf einfache Weise und in völliger Absenz von Abwechslung und Spannung den Aufstieg und Fall eines Mafia-Clans. Man klickte sich von Menü zu Menü und betrachtete nach langen Ladepausen immer wieder dieselben Pixelgrafiken. Das Projekt war schlussendlich die letzte gemeinsame Arbeit und wir beendeten im Sommer 1988 unsere mehrjährige Zusammenarbeit. Die Interessen hatten sich in den vergangenen Monaten verändert und ich wandte mich in Folge ausschliesslich der Produktion von Musik zu.
Bereits im Frühling 1988 hatte ich mir den «Hagenau Computer: Deluxe Sound» 8-Bit-Sampler für meinen Amiga gekauft und die ersten Versuche im Erstellen von Samples gemacht. Da mit der mitgelieferten Software keine Musikstücke komponiert werden konnten, beschaffte ich mir von der vertrauten Community eine Kopie von «Aegis Sonix». Die ersten Kompositionen entstanden und weckten das Interesse meines Schulfreunds Thömi, der sich in Folge ebenfalls einen Amiga 500 beschaffte und eigene Tracks komponierte. Eine vage Idee für ein Bandprojekt reifte in unseren Köpfen heran, welches wir im April 1988 zusammen mit einem weiteren Freund in die Tat umsetzten.
Das Programmieren und Spielen trat nun in den Hintergrund und mein Amiga 500 war zwischen 1988 und 1992 das zentrale Werkzeug in diversen Band- und Soloprojekten. Während des ersten Bandprojekts nutzten wir noch die alleinigen Klang- und Sample-Fähigkeiten des Amigas selbst. Später wurde das Equipment mit Midi-Interface und diversen Synthesizer ausgebaut. Doch die Umstände wandelten sich und die Musik verlor während des Jahres 1992 für einige Zeit an Bedeutung. Im Herbst 1993 beschaffte ich mir den neuen Amiga 1200 und begann wieder zu spielen. Da ich in jenem Jahr auch mein erstes Einkommen hatte, kaufte ich zum ersten Mal Originalspiele und war begeistert von Softwareperlen wie «Syndicate», «Frontier: Elite II» und «Die Siedler».
Mittels «Final Copy II» setzte ich den Amiga 1200 auch zur Produktion einer Broschüre ein, für die ich zusammen mit einem Kollegen einen kleinen Verlag gründete. Das Projekt wurde grösser und der 1200er wurde 1994 durch einen Amiga 4000/40 ersetzt. Obwohl in jenem Jahr Commodore pleite ging, hatte ich niemals Zweifel, dass es mit dem Amiga nicht weitergehen könnte. Im Gegenteil: «Final Writer» und «Final Data» wurden angeschafft und die Broschüre wurde immer umfangreicher. Erst 1995, als die Broschüre den Schritt zum Offsetdruck vollzog, wurde das Layout nicht mehr mittels «Final Writer», sondern mit QuarkXPress auf einem PowerMac erstellt.
1995 war das Jahr des beginnenden Bruchs. Der Mac zog in meinen Haushalt und auch das CD32 bekam Konkurrenz von der damals revolutionären Playstation. Der Amiga wurde von mir zwar weiterhin für die Abonnement-Verwaltung des Verlags und für das Rendering mittels «Maxon Cinema 4D» verwendet, doch er war fortan nicht mehr Dreh- und Angelpunkt des digitalen Lebens. Trotzdem flammte 1997 nach der Übernahme der Amiga-Patente durch Gateway 2000 neue Begeisterung auf. Ein Freund wollte ein Amiga-exklusives Videospiel programmieren und ich schrieb dafür ein umfangreiches Skript, welches stark von Chris Roberts «Wing Commander III» inspiriert war. Das besondere daran war, dass es vier parallele Handlungsstränge gab, die mit unterschiedlichen Charakteren bespielt werden konnten. Wir reisten im November sogar an die «Computer 97» in Köln, um die neusten Entwicklungen auf dem Amiga-Sektor in Augenschein zu nehmen. Doch die Begeisterung endete so schnell, wie sie gekommen war: Mein Freund wandte sich ohne Vorwarnung von unserem Projekt ab und das Ganze verschwand in der Versenkung.
Ende des Jahres 1998 war dann Schluss. Der Verlag war Geschichte und nach einem Umzug wurde der Amiga nicht mehr aufgebaut. Der Fokus verlagerte sich und nach weiteren Umzügen war auch die Hardware nicht mehr vorhanden. Commodore war Geschichte, leider auch in meinem Kopf.
Ich weiss heute auch nicht mehr genau, was mich schliesslich dazu bewog, mich 2015 wieder intensiv mit dem Thema Commodore zu beschäftigen. Ich fand damals einige alte 5.25"-Disketten aus der Zeit des C64 und es hatte mich sofort wieder gepackt. Ich begann, mich mit den Themen «Digitale Demenz», Emulation und Retro-Computing auseinander zu setzen und modifizierte den DTV64, den ich Ende der Nullerjahre geschenkt bekommen hatte, zu einem vollwertigen C64 um. Ich kaufte wieder einen «echten» C64, das Diskettenlaufwerk 1570 und ein SD2IEC, um meine alten Disketten in Images zu packen. Glücklicherweise konnte ich damit die beiden Spiele «Tressor Panic» und «Defence» für die Zukunft bewahren. Es folgten ein Amiga 1200 und die leidige Erkenntnis, dass 3.5"-Disketten bei weitem nicht so zuverlässig sind, wie die alten Floppys des C64. So konnte ich leider nur wenige Daten aus der Zeit der verschiedenen Bandprojekte retten. Auch die Daten aus der Zeit des Verlages wurden zusammen mit den Festplatten im Amiga 4000 entsorgt. Meine «Cinema 4D»-Projekte hatte ich bereits 1998 unwiederbringlich verloren, als die 1GB-Festplatte im A4000 das Zeitliche gesegnet hatte.
2016 erfuhr ich dann, dass mein Bruder meinen alten Amiga 1200 noch bis in's Jahr 2001 aktiv genutzt hatte und dieser in seinem Keller lagerte. Inzwischen ist der Rechner revidiert und das einzige Stück Hardware in meinem Besitz, das ich in jener Zeit aktiv genutzt hatte.
Was bleibt sind die vielen Erinnerungen an eine grossartige Zeit und ein tolles Hobby mit einer grossartigen Community. Commodore lebt weiter und wird es noch lange tun.